Herr Lizotte, die erste Vorstellung von Discgolf ist doch relativ simpel: Man nimmt ein Frisbee und wirft es so lange, bis ein Ziel erreicht ist. Stimmt’s?
David Lizotte: Es ist genauso, wie man Golf beschreiben kann: Indem man einen Ball ein paar Mal spielt, bis er im Loch ist. Es ist unglaublich, wie sehr sich die beiden Sportarten miteinander vergleichen lassen. Von den Begriffen her, über die Regeln bis hin zur Philosophie, dem Spirit. Auch im Golf geht es ja darum, wie sehr sich der Sport und das Leben doch ähneln. Letztens sagte einer zu mir: Ein schlechter Wurf kann gut liegen, und ein guter Wurf kann schlecht liegen. Aber auch er muss geworfen werden, wie er liegt. Es geht eben immer um den nächsten Wurf.
Technisch gesehen ist Discgolf aber schon etwas komplizierter, oder?
Klar, das war jetzt die einfache Version. Natürlich gibt es schon noch einige technische Feinheiten. Es gibt eine Abwurfzone und um den Korb herum ein Grün. Gespielt wird auf Bahnen, die normalerweise zwischen 50 und 200 Meter lang sind, meistens Par 3 oder Par 4. Das Ziel ist schließlich ein Korb in einer Höhe von etwa 70 Zentimetern, über den Ketten hängen, die die Disc abfangen sollen.
Warum nennt man sie eigentlich Disc und nicht Frisbee?
Frisbee ist ein Fangspiel. Eine Disc ist härter und nicht zum Fangen geeignet, denn sie hat eine scharfe Kante. Dafür lässt sie sich besser kontrollieren.
Gibt es die eine Disc?
Nein, sie unterscheiden sich in der Aerodynamik. Es fängt an mit dem Putter für kurze, genaue Würfe. Dann gibt es die Midrange für die Mitteldistanz und schließlich den Driver für die langen Würfe. Er ist besonders spitzkantig, mit viel Gewicht an den Rändern, was ihn besonders aerodynamisch macht und schneller fliegen lässt. Selbst diese drei Hauptscheiben können sich untereinander aber noch unterscheiden nach den Flugeigenschaften.
Das klingt bereits nach einer kleinen Wissenschaft?
Ja. Man muss seine Scheiben kennen, und jede ist mit Ziffern gekennzeichnet, die über ihre Eigenschaften Auskunft geben sollen.
Welche Rolle spielt der Discgolfer dabei?
Mit ihm kommen die verschiedenen Wurftechniken ins Spiel. Man unterscheidet hauptsächlich zwischen Vor- und Rückhand. Es gibt aber noch einige weitere Techniken. Etwa die, bei der die Scheibe nach dem Wurf eine lange Strecke rollt.
Wie bringt man sich all diese Sachen bei?
Die ersten Schritte sind relativ leicht: Die meisten Discgolfer freuen sich, wenn man sie einfach fragt. Man muss aber nicht unbedingt die richtigen Tipps bekommen, kann als Anfänger also auch viel falsch machen.
Also lernt man es besser im Verein?
Das ist eine gute Möglichkeit. Seit März 2020 haben wir unsere Aktivitäten allerdings eingestellt, und ich weiß derzeit natürlich nicht, wann wir sie wieder aufnehmen. Zuvor hatten wir monatliche Turniere, und es gab ein wöchentliches Training, das für alle offen war.
Wo und wie fand das statt?
Das war auf dem Platz am Weseruferpark in Rablinghausen. Dort wurde oft ohne Ziel trainiert, ein bisschen wie auf der Drivingrange beim Golf. So wurden die Wurftechniken erlernt und überprüft.
Haben denn alle Menschen die gleichen Voraussetzungen zum Discgolf?
Nein, sie sind ja unterschiedlich athletisch begabt. Es hilft schon, wenn man in dieser Hinsicht ein Talent mitbringt. Zwingend erforderlich ist es aber nicht. Ich kenne viele, für die Discgolf die erste Sportart im Leben ist. Sie hatten vorher nie etwas gemacht und dann gesagt: Discgolf ist es. Im Club haben wir große, kleine, dicke, dünne, junge und alte Menschen. So gesehen hat Discgolf auch eine soziale Komponente: Es geht darum, einfach da zu sein.
Würden Sie den Sport mittlerweile als etabliert bezeichnen?
In den USA ja, in der Welt ein bisschen und in Deutschland versuchen wir es – etabliert ist es hier aber nicht wirklich. Allerdings hat Discgolf im letzten Jahr einen Aufschwung verzeichnet. Das geht gerade tierisch schnell. Im Vergleich zu den Neunziger-Jahren explodiert es.
Und das liegt an der Corona-Pandemie?
Ja. Die Leute merken, dass Discgolf zu den wenigen Sportarten gehört, die wir noch machen dürfen. Das nutzen sie aus. Unsere vier Plätze in Bremen sind deutlich voller geworden.
Und ausgerechnet in dieser Zeit ruht das Vereinsleben?
Richtig. Aber unsere Mitglieder sind ja unterwegs auf den Plätzen, und dadurch werden Interessierte über den Verein informiert. Es ist zwar tote Hose, aber wir wachsen trotzdem.
Wie sind Sie selbst zum Discgolf gekommen?
Als Jugendlicher kannte ich Golf, habe selbst immer mal Bälle geschlagen und war fasziniert davon, mit möglichst wenig Versuchen ein Ziel zu erreichen. Außerdem habe ich neben Baseball auch Frisbee gespielt. In den achtziger Jahren sind wir nach Vancouver gezogen, dort haben mein Bruder und ich in den Parks einfach auf Bäume oder Laternen gespielt. Irgendwann ist uns aufgefallen, dass es in einem der Parks auch Discgolf-Körbe gibt, ein richtiger Parcours mit neun Bahnen. Da haben wir dann jeden Tag gespielt.
Wie haben Sie Ihr Spiel verbessert?
Durch andere Spieler. Wenn man mit Besseren spielt, guckt man sich etwas ab und fragt sie, wie es geht. Mental lernt man das über die Jahre auch.
Was macht die mentale Herausforderung aus?
Zum Beispiel, einen schlechten Wurf abzuhaken und sich immer auf den nächsten Versuch zu konzentrieren. Wie beim Golf, als Teil des spirit of the game. Es geht darum, Erfahrungen zu sammeln und zu verarbeiten, aber dabei immer nach vorn zu schauen. Wie im richtigen Leben.
Im Golf gibt es so etwas wie den perfekten Schwung. Gibt es im Discgolf einen perfekten Wurf?
Ja, ein bisschen schon. Aber Tiger Woods hat im Vergleich zu manch anderen Weltklasse-Golfern auch einen perfekten Schwung. So gesehen kommt es immer auf den einzelnen Spieler an. Es gibt aber schon bestimmte Grundtechniken, die jedem Wurf zugrunde liegen.
Welche sind das?
Es geht etwa um Beine, Hüfte und Schulter. Sie müssen harmonisiert werden. Das ist dann schon wie beim Golf: die Bewegung wird unten eingeleitet. Und dann geht es auch um den follow through, also die Bewegung, nachdem die Scheibe geworfen wurde. Und damit haben wir den eigentlichen Wurf, die Bewegung von Armen und Händen, noch gar nicht angesprochen. So muss man die Scheibe fest und gleichzeitig locker halten. Das ist auch wichtig, aber eben nur ein Teil der gesamten Bewegung.
Sie können das gut. Ihre Söhne Timothy und Jason gelten ebenfalls als starke Spieler, und Simon Lizotte zählt sogar zu den besten Discgolfern der Welt. Er ist Profi in den USA. Wie muss man sich das Leben Ihres Sohnes vorstellen?
Es gibt dort viele Niveaus, auf denen die Profis leben. Einige haben gute Sponsoren, meistens Hersteller von Scheiben. Sie können aber auch aus anderen Teilen der Discgolf-Branche kommen. Während der Saison fährt er von März bis Oktober von Turnier zu Turnier.
Wie sehen solche Turniere aus?
Es geht über drei oder vier Runden an drei oder vier Tagen, und finanziert werden diese Turniere von Scheibenherstellern und regionalen Sponsoren. Jeder Spieler muss ein Startgeld zahlen, kann dafür aber Preisgelder gewinnen – und je nach Wichtigkeit des Turniers auch Ruhm. Es hat sich extrem aufgebaut in den letzten sieben, acht Jahren. Bei wichtigen Turnieren lässt sich schon mal ein Preisgeld zwischen 10.000 und 15.000 Dollar verdienen.
Wie viele Zuschauer gibt es?
So zwischen 500 und 1000 Leute sind dabei, gespielt wird meistens ja in öffentlichen Parks.
Ihr Sohn Simon Lizotte ist nun seit zehn Jahren Profi, und die Statistik weist für ihn ein Gesamtpreisgeld von rund 160.000 Dollar aus. Das sind etwa 130.000 Euro. Davon allein lebt er nicht, oder?
Nein, von den Preisgeldern allein nicht. Er bekommt aber noch Geld von seinen Sponsoren und durch seine Social-Media-Präsenz auch über diese Kanäle. Simon gehört damit zu den 15, 20 Spielern, die vom Discgolf leben können und denen Geld relativ egal ist. Die meisten Profis haben es deutlich schwerer – selbst wenn es insgesamt gerade besser wird.
Und was kostet es, Discgolf zu spielen?
Das Spielen auf einer Anlage ist umsonst. Die Scheiben kosten zwischen zehn und 25 Euro, im Set sind sie auch billiger zu bekommen. Anfangen sollte man mit einem Putter und einem Midrange, das muss also nicht mehr als 30 Euro kosten. Wer bei uns Mitglied sein möchte, zahlt derzeit einen Jahresbeitrag von 37 Euro.
Das klingt nach einer sehr günstigen Sportart. Welche Entwicklung prognostizieren Sie dem Discgolf?
Eine positive. Der Sport lässt sich nahezu umsonst ausüben, und jeder kann ihn ohne großen Aufwand betreiben, ganz ohne einen elitären Charakter. Ich glaube, es werden immer mehr Menschen auf den Geschmack kommen.
Das Gespräch führte Stefan Freye.
Aus "Kurier am Sonntag" vom 21.02.2021