Marßeler Leichtathleten dürfen wieder in kleinen Gruppen am Burgwall trainieren
Karsten Hollmann

Marßel. Auch die 80 Leichtathleten der SG Marßel profitieren von den Lockerungen, die im Rahmen der Corona-Pandemie für den Sport eingeführt wurden. Den SGM-Aktiven kommt dabei auch die große Fläche auf dem Trainingsgelände am Burgwall in Blumenthal entgegen.

„Als Vorgabe müssen wir zehn Quadratmeter Bewegungsfreiheit pro Athlet einrichten. Daher können wir auf insgesamt 10 000 Quadratmetern auch locker etwa zehn Pärchen selbstständig und individuell trainieren lassen“, stellt SGM-Coach Gerold Christen fest.

Weil an manchen Stationen besonders viel Platz vorliegt, können auch mal bis zu drei Paare gleichzeitig dort üben. „Beim Weitsprung haben wir zum Beispiel rund 200 Quadratmeter Platz“, informiert Christen. Beim Kugelstoßen werde es dagegen schon wesentlich enger. Ins Training mit Kleingruppen kehrten zunächst einmal nur die U16-Athleten und älter zurück, weil diesen die Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln am ehesten zugetraut werden kann. Diese verteilen sich nun beim Training mit zwölf bis 16 Aktiven auf das ganze Stadion. Die jüngeren Jahrgänge folgen mit einem Training von insgesamt maximal fünf Sportlern. „Da sprechen wir auch erst einmal nur die fixierten und besonders verantwortungsvollen Athleten an“, versichert Gerold Christen.

Aufgrund der Besonderheiten bei der Leichtathletik befanden sich die Sportler zu keiner Zeit im richtigen Lockdown. „Leichtathleten sind es gewohnt, alleine im Gelände zu trainieren“, erklärt Christen. In der ersten Zeit absolvierten die Aktiven zwölf- bis 18-Mal pro Woche der Situation angepasste, moderate und alternative Bewegungseinheiten. Diese Einheiten wurden entweder individuell oder mit einem Partner abgespult. Gerold Christen kontrollierte die tatsächliche Ausübung der Einheiten nicht wirklich.

„Es ging darum, Vertrauen zu schaffen. Ich weiß, dass meine Schützlinge ehrlich sind. Darauf bin ich auch sehr stolz“, betont der 54-Jährige. Ihm sei es in erster Linie auch darum gegangen, den Athleten einen Rhythmus zu geben. „Im Gegensatz zu vielen Mitschülern wussten sie auch zur Freude der Eltern so immer, welcher Wochentag war“, sagt der Übungsleiter.

Seit Ende April können die Leichtathleten auch wieder paarweise Techniktraining im Stadion bestreiten. Nun ist dies eben auch wieder in kleinen Gruppen möglich. Von der Stange gegangen ist in der Corona-Krise niemand. „Ich bin total froh darüber, dass ich nun zumindest alle Athleten aus dem älteren Nachwuchs wieder um mich versammeln kann“, atmet Gerold Christen nach den Lockerungen auf. Nachdem seine Schützlinge im März und April noch Kondition mit Fahrradfahren und Laufen aufgebaut hätten, gehe es ihm nun wieder erstrangig um die Vermittlung von Technik.

Ein „normales“ Training wie früher sei aber derzeit nicht möglich. „Früher war ich da näher an den Athleten dran, konnte Sachen vorgeben und immer direkt korrigieren. Jetzt geht es aber um die penible Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen.“ Er müsse seine Ansprüche deshalb herunterschrauben und könne nur in einzelnen Fällen wirklich eingreifen.

„Das Training sieht schon deutlich anders aus“, so der Sportlehrer der Freien Waldorfschule in Blumenthal. Um die Kontakte so gering wie möglich zu halten, hat jeder Athlet beim Training einen festen Partner, mit dem er dann auch gemeinsam die Stationen wechselt. „Die einzelnen Paare halten sich etwa 30 bis 40 Minuten an den einzelnen Stationen auf“, sagt Christen – es sei viel Selbstständigkeit der Athleten gefragt.

Während des Lockdowns wurde Gerold Christen bei der Erstellung und Verbreitung der Trainingspläne auch tatkräftig von seinen Assistentinnen Johanna Christen und Bente Hoffmann unterstützt. „Ohne die beiden wäre es nicht möglich gewesen“, räumt der Coach ein, der seit acht Jahren zunächst Trainer bei der SG Marßel in Kooperation mit der SG akquinet Lemwerder und nach deren Auflösung nur noch bei der SG Marßel ist.

Über viele Wochen konnte dieser seine älteste Tochter Rebecca Christen, die in Bielefeld lebt, nicht sehen. Die erfolgreiche Mehrkämpferin absolviert gerade eine Ausbildung zur Therapeutin und musste wegen der Infizierung von gleich drei Ärzten in ihrer Praxis für zwei Wochen in Quarantäne gehen. „Durch so etwas lässt sich meine Tochter aber nicht aufhalten. Sie hat sich in ihrer Wohngemeinschaft Geräte aus dem Keller geholt und sich einen Kraftraum eingerichtet, in dem sie auch ein Fahrrad zu einem Ergometer aufgebockt hat“, berichtet der stolze Papa.

Da Nordrhein-Westfalen Bremen in Sachen Leichtathletik hinterherhinke, schaue Rebecca Christen ein wenig neidisch auf ihre Bremer Kollegen. „In NRW haben sie jetzt erst ihre Sportstätten geöffnet. Es wurde aber versäumt, rechtzeitig einen Hygiene- und Pandemie-Plan zu erstellen“, sagt Gerold Christen – aus diesem Grunde hinge seine Tochter noch in der Luft.

Gerold Christen sei nur froh, dass seine älteste Tochter kurz vor dem Lockdown noch einen neuen persönlichen Rekord im Weitsprung mit 5,26 Metern beim Hallenmeeting im Weserstadion aufgestellt habe. „Ihre beste Marke bis dato mit 5,20 Metern hatte sie bereits zehn Jahre zuvor erreicht. Ohne diesen neuen Rekord hätte sie gar nicht gewusst, dass so etwas noch in ihr steckt“, so der Pädagoge. Dieser neue Rekord habe insofern ein großes Glück dargestellt, als sie nun auch ganz ohne Wettbewerbe motiviert bleibe, dranzubleiben. „Es gibt doch kaum etwas Frustrierenderes als ein halbes Jahr auf etwas hinzutrainieren, um dann gesagt zu bekommen, dass keine Wettkämpfe stattfinden“, betont Gerold Christen. Er habe sich während des Lockdowns stets im Austausch mit dem Sportamt Bremen und dem Landessportbund befunden. So habe er immer gewusst, welches Training er mit seinen Schützlingen machen kann. „Wegen der besonderen Zeit ist auch immer der Logistiker in mir gefragt“, sagt Christen. Ihm komme es nun entgegen, dass er früher als Lagerleiter im Logistikbereich gearbeitet habe. „Das hilft mir nun bei der Durchführung des Trainings“, versichert der Sportlehrer, der auch immer noch als selbstständiger Übungsleiter tätig ist.

Auch wenn der Unterricht an der Freien Waldorfschule noch nicht wieder begonnen hat, hilft Gerold Christen in der Notbetreuung für Kinder von Eltern mit systemrelevanten Berufen aus. Christen glaubt noch an die Austragung von Wettbewerben in der Leichtathletik in dieser Saison. „Die ersten Zeichen für eine Austragung von Wettkämpfen nach den Sommerferien sind da“, erklärt der Trainer. Er stellt sich durch die Verschiebung der Wettbewerbe auf ein Mammutprogramm im September ein. Vor allem hofft Christen aber auf die Austragung der Landesmeisterschaften im Fünfkampf und der deutschen Mannschaftsmeisterschaften.

„Dabei schneiden wir schließlich immer sehr gut ab“, so der Coach. Bis in den Oktober hinein blieben die Leichtathleten nun erst einmal draußen. Ob dann auch Training und Wettbewerbe in der Halle stattfinden können, ist noch sehr fraglich. „Von Sport in der Halle würde ich wegen fehlender Lüftungsmöglichkeiten derzeit dringend abraten“, verrät Gerold Christen.

Aus "Die Norddeutsche" vom 19.05.2020